„Ausflaggen“ – rechtsmissbräuchlich? EUGH prüft!

In einem aktuellen EUGH-Verfahren (Aktenzeichen C-610/18) soll geklärt werden, wer Arbeitgeber von LKW-Fahrern ist und wo diese angestellt werden müssen.

Grund für den gegenständlichen Rechtsstreit ist eine Entscheidung des Verwaltungsrats der niederländischen Sozialversicherungsanstalt (RSVB). In dieser Entscheidung stellte die RSVB fest, dass Fahrer einer in Zypern gegründeten Gesellschaft (AFMB), die durch Verträge mit niederländischen Unternehmen diesen zur Verfügung gestellt werden, nicht den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften Zyperns, sondern jenen der Niederlande unterliegen. Der EuGH soll nun die Frage klären, wer Arbeitgeber der Fahrer ist: die in den Niederlanden ansässigen Transportunternehmen oder die zypriotische Gesellschaft.

Vertragsbezeichnung als Arbeitgeber lediglich ein Anhaltspunkt

In seinen Schlussanträgen vom 26.11.2019 teilt der Generalanwalt die Auffassung, dass Arbeitgeber von abhängig beschäftigten Lastkraftwagenfahrern im internationalen Straßentransport jenes Transportunternehmen ist, das sie auf unbestimmte Zeit eingestellt hat, eine tatsächliche Weisungsbefugnis gegenüber ihnen ausübt und faktisch die Gehaltskosten zu tragen hat. Gemäß der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist der Sitz des Arbeitgebers ein Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des anwendbaren nationalen Rechts. Der Begriff „Arbeitgeber“ ist durch das Unionsrecht jedoch nicht definiert. Die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit weist zur Ermittlung des Sinns und der Bedeutung dieses Begriffs auch nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten. Der Generalanwalt stellte fest, dass die Vertragsbeziehung, nach der der AFMB formal betrachtet „Arbeitgeber“ der Fahrer wäre, lediglich einen Anhaltspunkt liefert, die Bestimmung des tatsächlichen Arbeitgebers jedoch einigen Voraussetzungen bedarf. Als Arbeitgeber von Lastkraftwagenfahrern im internationalen Straßentransport ist nämlich das Transportunternehmen anzusehen, das den Fahrer eingestellt hat, dem der Fahrer tatsächlich auf unbestimmte Zeit uneingeschränkt zur Verfügung steht, das eine tatsächliche Weisungsbefugnis gegenüber dem Fahrer ausübt und das faktisch die Gehaltskosten zu tragen hat. Das bloße Vorliegen eines Arbeitsvertrages mit der zypriotischen Gesellschaft, in dem diese als Arbeitgeber bezeichnet wird, reicht daher nicht für die tatsächliche Qualifizierung als Arbeitgeber aus.

Keine Entsendung

Weiters macht der Generalanwalt deutlich, dass es sich auch nicht um eine sogenannte „Entsendung“ handelt. Bei einer „Entsendung“ ist der Arbeitnehmer zwar in einem anderen Staat tätig, unterliegt jedoch den Vorschriften des Entsendestaates. Der Generalanwalt führte aus, dass die zypriotische Gesellschaft den in den Niederlanden ansässigen Unternehmen, Arbeitnehmer lediglich auf unbestimmte Zeit „zur Verfügung gestellt“ hat. Weiters beschränkte sich die Rolle der zypriotischen Gesellschaft lediglich auf die Zahlung der Löhne und Sozialbeiträge an die zyprische Behörde.

Rechtsmissbräuchliches Ausflaggen

Schließlich führte der Generalanwalt aus, dass die zypriotische Gesellschaft die Arbeitgebereigenschaft durch eine ausgeklügelte Konstruktion des Privatrechts erlangt hat. Die niederländischen Vertragspartner haben jedoch die tatsächliche Kontrolle gegenüber den Arbeitnehmern ausgeübt, was normalerweise unter die Befugnisse des Arbeitgebers im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses fällt. Die Berufung auf die Grundfreiheiten des Binnenmarkts, um sich in Zypern niederzulassen und von dort aus Dienstleistungen an niederländische Unternehmen zu erbringen, führt zu einer Verschlechterung des Sozialversicherungsschutzes der Fahrer, während die niederländischen Unternehmen daraus offenbar Vorteile bei den Gehaltskosten gezogen haben. Der Generalanwalt kommt somit zum Entschluss, dass ein Rechtsmissbrauch vorliege, der es AFMB verbietet, sich auf ihre angebliche Arbeitgebereigenschaft zu berufen, um beim RSVB zu beantragen, die zyprischen Rechtsvorschriften für auf die betroffenen Fahrer anwendbar zu erklären.

EUGH-Entscheidung abwarten, Auswirkungen

Zur Rolle des Generalanwaltes: Der Generalanwalt hat die Aufgabe einen Vorschlag für ein Urteil in der Form von begründeten Schlussanträgen zu stellen. Er setzt sich dabei mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH in ähnlichen Fällen auseinander und verwendet diese für die Beurteilung des vorliegenden Falls. Der EuGH ist an diese Vorschläge nicht gebunden, faktisch folgt er jedoch in den überwiegenden Fällen den Vorschlägen des Generalanwalts. Es bleibt somit die Entscheidung des EuGH abzuwarten. Folgt der EuGH der Rechtsmeinung des Generalanwaltes sind sehr viele „Ausflaggungen“ als rechtsmissbräuchlich einzustufen.

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