Wenn der Zusteller zweimal klingelt

Inhalt

    Bei Abwesenheit des Empfängers ist immer wieder unklar, ob die Ware einfach abgestellt werden kann und die Ablieferung hiermit vollendet ist.

    In einem aktuellen Verfahren vor dem deutschen Amtsgericht Weinheim wurde ein Frachtführer mit dem Transport von einem Arzneimittel beauftragt. Mit dem Empfänger wurde vereinbart, dass die Ware ausschließlich an den Empfänger persönlich übergeben werden darf. Beim Zustellversuch an den Empfänger konnte dieser nicht angetroffen werden, weshalb die Ware auf dem Grundstück des Empfängers abgestellt wurde. Die Ware wurde schließlich rund zwei Wochen später wieder abgeholt, da der Empfänger zwischenzeitlich verstorben war. Da die Ware nach Rücklieferung nicht mehr in den Verkehr gebracht werden konnte, forderte der Produzent Schadenersatz.

    Zunächst stellte sich daher die Frage, ob der Frachtführer überhaupt haftet, da der Haftungszeitraum mit wirksamer Ablieferung endet. Darüber hinaus war auch zu klären, ob die Ware überhaupt beschädigt ist und daher nicht mehr in den Verkehr gebracht werden kann. Der Frachtführer behauptete nämlich, dass die Ware nicht temperaturempfindlich war und daher nicht von einer Beschädigung der Ware auszugehen ist, lediglich weil diese sich über mehrere Tage auf dem Grundstück des Empfängers befand.

    Haftung endet mit Ablieferung

    Wie bereits zuvor ausgeführt, endet die Obhutshaftung des Frachtführers grundsätzlich mit der Ablieferung. Unter der Ablieferung ist der Vorgang zu verstehen, durch welchen der Frachtführer den Gewahrsam an der beförderten Ware im Einvernehmen mit dem Empfänger aufgibt und dem Empfänger tatsächliche Gewalt über das Gut verschafft.

    Wenn Waren in Abwesenheit des Empfängers abgeliefert werden, ist somit zwingend das Einverständnis des Vertragspartners erforderlich. Andernfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Empfänger die tatsächliche Gewalt über über die Ware erhält.

    Darüber hinaus ist zu beachten, dass Waren sich regelmäßig dann nicht im ausschließlichen Gewaltbereich des Empfängers befinden, wenn diese lediglich vor der Haustür abgestellt werden. Auch ein „über den Zaun Werfen“ ist in manchen Fällen nicht als wirksame Zustellung zu werten, da die Ware, die direkt hinter dem Zaun liegt, dennoch meistens ohne übermäßigen Aufwand von jedermann entwendet werden kann.

    Baumaschinen auf Baustellen

    In der Praxis kommt es auch bei Anlieferungen von Baumaschinen an die jeweilige Baustelle in den Nachtstunden zu Problemen. Da zu diesen Zeiten häufig niemand mehr an der Baustelle anwesend ist, erfolgt die Entladung in Abwesenheit des Empfängers. Auch hier ist zwingend notwendig, dass das Abstellen des Baufahrzeuges auf einem bestimmten Platz in Abwesenheit des Empfängers tatsächlich wirksam vereinbart wurde (OGH:7 Ob 683/86; 1 Ob 28/00z).

    Neben dieser Vereinbarung ist auch eine ungestörte Sachherrschaft des Empfängers eine zwingende Voraussetzung. Das Abstellen eines Baufahrzeuges (mit unversperrter Fahrerkabine) auf einer für jedermann zugänglichen Baustelle ist nicht ausreichend. Vielmehr muss ausschließlich der Empfänger Zugang zum abgestellten Baufahrzeug haben, damit sich dieses wirksam im Gewaltbereich des Empfängers befindet. Zusammengefasst muss für die wirksame Ablieferung in Abwesenheit des Empfängers also zunächst eine Vereinbarung getroffen und in weiterer Folge die Ware im ausschließlichen Gewaltbereich des Empfängers zugestellt werden.

    Abgabe beim Nachbarn

    Wenn der Empfänger bei der Ablieferung nicht angetroffen wird, werden Waren oft bei einem anwesenden Nachbarn abgegeben. Auch eine solche Übergabe bewirkt nur dann eine wirksame Ablieferung, wenn hierüber eine Vereinbarung getroffen wurde. In einem derartigen Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt hat dieses festgehalten, dass eine solche Vereinbarung aber auch über allgemeine Geschäftsbedingungen getroffen werden kann.

    Weisungen einholen!

    Ist der Empfänger also nicht anzutreffen und wurde auch keine Vereinbarung über die Ablieferung in Abwesenheit getroffen, müssen unbedingt Weisungen eingeholt werden. Ist nämlich keine Ablieferung möglich, handelt es sich um ein Ablieferungshindernis gemäß Art. 15 CMR. In diesem Fall ist der Frachtführer verpflichtet Weisungen einzuholen, hat allerdings Anspruch auf Erstattung der Kosten, die durch die Einholung und Ausführung dieser Weisung entstehen.

    Auch im oben beschriebenen Fall (Transport von Arzneimitteln) führte das deutsche Gericht aus, dass der Frachtführer die Ware nicht einfach hätte im Garten des Empfängers abstellen dürfen, sondern vielmehr Weisungen des Auftraggebers einholen musste. Durch das Abstellen der Ware im Garten des Empfängers wurde der Haftungszeitraum des Frachtführers jedenfalls nicht beendet.

    Arzneimittel

    Wie schon zuvor ausgeführt, bestritt der Frachtführer, dass diesen eine Schadenersatzpflicht für die Arzneimittel treffe. Unabhängig davon, ob diese wirksam abgeliefert wurden oder nicht, meinte der Frachtführer, dass gar kein Schaden eingetreten sei, weil die Arzneimittel keine Temperaturvorgaben aufwiesen und somit auch allfällige Temperatureinwirkungen im Garten des Empfängers keinerlei negativen Auswirkungen auf die Arzneimitteln haben könnten.

    Der im Verfahren zugezogene Sachverständige führte aus, dass das unkontrollierte Lagern von Arzneimitteln auf dem Grundstück einen Verstoß gegen die Vorgaben nach Kapitel 9 der „Good Distribution Practice (GDP)“ darstellt. Selbst wenn Arzneimittel keinen Temperaturvorgaben unterliegen, kann eine Beschädigung insbesondere dann nicht ausgeschlossen werden, wenn die Ware mehrere Stunden unkontrollierten äußeren Einflüssen ausgesetzt war und nicht mehr nachvollzogen werden kann, was genau mit der Ware in diesem Zeitraum passierte. Aus den GDP ergibt sich, dass ein Arzneimittel nicht mehr verwendet werden darf, wenn unklar ist, ob die Unversehrtheit des Arzneimittels beeinträchtigt worden ist. Diesen Nachweis wird man regelmäßig dann nicht erbringen können, wenn sich die Ware unkontrolliert mehrere Stunden in „Niemands Obhut“ befunden hat.

    Somit ist die Haftungssituation und Beweislage bei Arzneimitteln verschärft, da nicht zwingend nachgewiesen werden muss, dass die Ware tatsächlich einen Schaden hat. Es reicht daher bereits eine Schadensvermutung, die nicht gänzlich ausgeräumt werden kann.


    Erschienen im Transporteur 08/2024

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